Warum Gewerkschaften und die Umweltbewegung zusammenfinden müssen

Ein Kommentar von Michael Müller, Bundesvorsitzender der NaturFreunde Deutschlands

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Arbeit ist das zentrale Thema des Industriezeitalters. Menschenwürdige Arbeit ist keine Ware, sondern für die große Mehrheit der Menschen eine Grundlage für gesellschaftliche Integration, für soziale Existenzsicherung und für die Entfaltung kreativer Fähigkeiten. Arbeit ist die Quelle des Reichtums und der Kultur. Nichts davon wird geschenkt. Von selbst kommt gute Arbeit nicht. Sie muss erkämpft werden – in sozialer Solidarität und mit starken Organisationen.

Arbeitslosigkeit ist dagegen ein Gewaltakt, ein Anschlag auf die Integrität der davon betroffenen Menschen. Entweder wir schaffen gute Arbeit für alle oder die Arbeitslosigkeit spaltet unsere Gesellschaft und vertieft die Gräben. Ohne gerechte Bezahlung werden vor allem Frauen, die für gleiche Leistungen noch immer weniger verdienen als Männer, diskriminiert und an den Rand gedrängt. Menschenwürdige Arbeit ist ein Kampf um die soziale Demokratie und heute um eine nachhaltige Gesellschaft.

Noch nie so viele Jobs wie heute

Zwar zählten wir in unserem Land noch nie so viele Arbeitsplätze wie heute, obwohl vor wenigen Jahren viele Prognosen ein Verschwinden der Arbeit voraussagten. Aber gesichert ist nichts. Der Niedriglohnsektor wurde stark ausgeweitet, die Abhängigkeiten wurden größer, die Mitbestimmungsrechte schwächer. Richard Sennett spricht vom neuen Regime des globalen Kapitalismus. Er ist keine Garantie für Vollbeschäftigung, zumal in einer Welt, in der das exportstarke Deutschland seinen Wohlstand auch auf Kosten anderer Länder schafft.

Eine andere Seite ist die wachsende Altersarmut auch von Menschen, die 45 Jahre in die Sozialkassen eingezahlt haben und dennoch mit der Taschenlampe in Abfallkörben nach Pfandflaschen leuchten. Die Zahl der „Aufstocker“ nimmt rasant zu. Die Sozialsysteme müssen neu gesichert werden. Zudem zerstört Arbeit die Natur, sie überlastet die natürlichen Senken und treibt Raubbau an den Ressourcen.

Industrie 4.0

Das Thema der Verbände ist die Digitalisierung der Wirtschaft. Angetrieben von Verwertungszwängen globaler Märkte reden sie von Industrie 4.0, das Regime der kurzen Frist über das Internet. Gemeint ist, dass nach der Dampfmaschine, dem Fließband und dem Computer nun die vierte Revolution zur „Smart Factory“ ansteht. Dreh- und Angelpunkt ist die systematische Verschmelzung virtueller und realer Möglichkeiten. Auch die Zusammenführung von Arbeit und Umwelt ist unverändert aktuell, spielt aber bei Industrie 4.0 bisher kaum eine Rolle.

Es kommt darauf an, ob Industrie 4.0 marktgesteuert oder politisch gestaltet wird. Ob sie soziale und ökologische Ziele verfolgt oder ob der Weg in die Marktgesellschaft noch beschleunigt wird und damit Ausgrenzung und Spaltung. Industrie 4.0 stellt die Frage nach der Gestaltung technisch-ökonomischer Prozesse und der Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft. Doch zumindest bislang wird die Idee der Nachhaltigkeit verdrängt. Sie aber ist keine technische, sondern eine politische und soziale Aufgabe.

Nachhaltigkeit erfordert eine sozialökologische Transformation, ganz im Sinne der historischen Grundidee der NaturFreunde, die Ausbeutung des Menschen und die Ausbeutung der Natur zu beenden. Industrie 4.0 erfordert die Verbindung von Arbeit und Umwelt durch eine Ökonomie des Vermeidens mit hoher Ressourceneffizienz, die Kreisläufe schließt sowie Abfälle und Überproduktion systematisch vermeidet.

Bereits Mitte der 1980er-Jahre wurde das Ende der traditionellen Massenproduktion als Chance gesehen. Produktive Auswege aus der Krise der kapitalistischen Industriegesellschaftesind möglich, wenn es zur Rückkehr der Ökonomie in die Gesellschaft kommt, zu einer handwerklich spezialisierten Produktion, zur Requalifizierung der Arbeit sowie zur Dezentralisierung großer Einheiten und Regionalisierung von Produktion und Dienstleistungen.

Die Verantwortung für die soziale und natürliche Mitwelt ist ein Kernprinzip guter Arbeit. Sie wird nur möglich durch mehr Verteilungsgerechtigkeit, mehr Demokratie und bessere Bildung. Die Gestaltung der Industrie 4.0 wird zur Chance für eine sozialökologische Transformation. Sie ist das Gegenteil der neoliberal-autoritären Ideologie, die in Trumps USA einen neuen Aufstieg nimmt. Gewerkschaften und Umweltbewegung müssen zusammenfinden.

Michael Müller, Bundesvorsitzender der NaturFreunde Deutschlands
Dieser Artikel ist zuerst erschienen in NATURFREUNDiN 1-2017